„Hier wird die Welt erschaffen.“

Dieses Wort am Eingang des Theaters ist mehr als ein Versprechen an das Publikum – es ist ein Hinweis auf eine uralte Geste des Menschseins. Denn das Theater gleicht dem Ritual: Beides sind Schwellen, an denen die alltägliche Zeit endet und eine andere Ordnung beginnt.

Im Ritual wird der Kosmos neu geboren. Mit Lied, Geste und Opfer wird das Chaos zurückgedrängt, das Heilige aufgerufen, die Harmonie wieder hergestellt. Es ist kein einmaliges Schaffen, sondern ein ewiges Wieder-Erschaffen: die Welt bricht auseinander – und wird durch das Ritual neu gefügt.

So ist auch die Bühne ein kleiner Kosmos. Dort, wo ein Vorhang sich hebt, öffnet sich ein Raum, der größer ist als seine Mauern. Aus Stimmen, Körpern, Licht und Stille entsteht eine Welt, die uns einschließt. Konflikte werden entfacht wie Urkämpfe der Elemente, Leid und Hoffnung tragen die Ordnung bis an ihre Grenze – und kehren dann in eine neue Gestalt zurück.

Theater und Ritual sind Schwestern:

Beide betreten wir als Gemeinschaft, nicht allein.

Beide lassen uns eine andere Zeit erfahren, die dichter, gewichtiger ist als die Stunde draußen.

Beide führen uns durch Chaos, damit wir die Ordnung umso klarer spüren.

Das Schild am Eingang des Theaters könnte also ebenso am Tempel stehen: ein Ruf, dass hier, in diesem Augenblick, die Welt sich neu entfaltet – fragil, vergänglich, und doch mit der Macht, den Kosmos zu erneuern.

Foto: Schild am Eingang eines Theaters in Berlin – Friedrichshain